Auch heute als Beraterin für Autoren, werde ich das sehr oft gefragt. Grundsätzlich finde ich, ist es (fast) jedes Manuskript wert, veröffentlicht zu werden. Nie war es einfacher als heute, Schriften aller Art in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Aber ein kleines bisschen
bin ich auch der Ansicht des Dichters Rainer Maria Rilke. An einen jungen
Dichter, der damals schon die gleichen Anwandlungen hatte, wie die Autoren heute,
schreibt er:
„Sie fragen, ob Ihre Verse gut
sind. Sie fragen mich. Sie haben vorher andere gefragt. Sie senden sie an
Zeitschriften. Sie vergleichen sie mit anderen Gedichten, und Sie beunruhigen
sich, wenn gewisse Redaktionen Ihre Versuche ablehnen.
Nun (da Sie mir gestattet haben,
Ihnen zu raten) bitte ich Sie, das alles aufzugeben. Sie sehen nach außen, und
das vor allem dürften Sie jetzt nicht tun. Niemand kann Ihnen raten und helfen,
niemand.
Es gibt nur ein einziges Mittel.
Gehen Sie in sich. Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben heißt; prüfen
Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt,
gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müssten, wenn es Ihnen versagt würde zu
schreiben.
Dieses vor allem: fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: Muss ich schreiben?
Graben Sie in sich
nach einer tiefen Antwort. Und wenn diese zustimmend lauten sollte, wenn Sie
mit einem starken und einfachen - Ich muss dieser ernsten Frage begegnen dürfen,
dann bauen Sie Ihr Leben nach dieser Notwendigkeit; Ihr Leben bis hinein in
seine gleichgültigste und geringste Stunde muss ein Zeichen und Zeugnis werden
diesem Drange. Dann nähern Sie sich der Natur.
Dann versuchen Sie, wie ein erster
Mensch, zu sagen, was Sie sehen und erleben und lieben und verlieren.“
Quelle: Rainer Maria Rilke, „Briefe an einen jungen Dichter“
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